
Das MISEREOR-Hungertuch 2021 „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“ von Lilian Moreno Sánchez © MISEREOR
7. Nachdenkerei - 6. Fastensonntag, Palmsonntag, 28.03.2021
Das Tryptichon rechts 2. Teil
Die Welt verändern
Die Welt verändert sich. Die Welt hat sich verändert im letzten Jahr. Wir wurden in einen großen, weiten, unbekannten und bedrohlichen Raum hineingestoßen. In die Pandemie.
Seit einem Jahr leben wir im Ausnahmezustand. Die Welt hat sich verändert. Und wir mussten uns verändern, unser Verhalten anpassen. Solidarität mit Schwachen zeigen, Rücksicht nehmen, andere schützen.
Haben wir uns verändert?
Und was wird danach sein?
Wird alles wieder zum Gewohnten zurückgedreht? Zu Hektik und Stress, Ellbogenchecks, täglicher Beschleunigung…
Was wird bleiben?
Rücksichtnahme ?
Füreinander da sein?
Solidarität ?
Achtsamkeit mit sich selbst und anderen?
Wir können aufstehen, aufstehen mit unseren brüchigen Füßen, die Narben tragen. Wir können aufstehen und neue Wege gehen, das Gute mitnehmen, und das Schlechte abwerfen, hinter uns lassen.
Du stellst unsere Füße auf weiten Raum, Gott.
Dadurch können wir die Welt verändern.
6. Nachdenkerei - 5. Fastensonntag, 21.03.2021
Das Tryptichon rechts 1. Teil
Wegbegleiter
„Feste Schuhe, leichte Schritte, und am Horizont ein Ziel,
Wegbegleitung hin zur Mitte und ein sicheres Asyl.
Das gibst du mir, du, Gott, ich danke dir“
(Schlegel/Raabe, Du stellst meine Füße auf weiten Raum, Lied zum Hungertuch, Dehm-Verlag, Limburg 2021)
Begleitung. Wir alle mögen nicht alleine sein. Und schon gar nicht dann, wenn wir Neues wagen oder in Neues gestellt werden. Dann brauchen wir mehr als in jeder anderen Situation eine Hand, die uns hält, jemanden, der uns auffängt, wenn wir stolpern. Wie brauchen jemanden, dem wir unsere Ängste anvertrauen können, jemanden, der uns Mut macht, wenn wir unsicher sind, wenn wir das Ziel aus den Augen verlieren wollen. Das gilt in der Pandemie, im Lockdown, ebenso wie zu jeder Zeit.
Im rechten Teil des Tryptichons sind die beiden Unterschenkelknochen schematisch dargestellt. Wieder sieht man diese schwarzen Linien, Linien, die aussehen wie verschlungene Wege, wirre Wege. Manchmal sind unsere Wege wirr, manchmal sind Gottes Wege verschlungen und undurchsichtig.
Sich im Kreis drehen, zurückkommen, auf der Stelle treten – und doch dranbleiben und weitermachen. Zu zweit ist das einfacher.
Die Flecken auf dem Tuch erinnern an eine Landschaft, die doch eine Räumlichkeit mit ihren schrecklichen Ereignissen aufnehmen und transportieren: Den Platz der Würde.
Und immer wieder machen sich Menschen gemeinsam auf, um gegen Ungerechtigkeit einzustehen. Viele gehen gemeinsam, überall auf der Welt. Wo Menschen sich gemeinsam aufmachen und für andere eintreten, wo Menschen auf dem Pilgerweg zu sich und zum Anderen sind, da ist Gott mit dabei.
Wegbegleitung bis zur Mitte, das gibst mir du, Gott.
5. Nachdenkerei - 4. Fastensonntag, 14.03.2021
Das Tryptichon Mitte 2. Teil
Durchhalten
Jetzt sind wir schon seit einem Jahr mit dem Virus befasst. Menschen werden krank, Menschen sterben, Menschen gesunden.
Und wir sagen uns:
nur noch bis…
dann werden wir…
Wie lange noch…
Und wir müssen durchhalten. Wir wollen und dürfen nicht aufgeben! Aber wir sind unsicher, haben Angst, sind zermürbt. Wir sind der Beschränkungen müde, wünschen uns die alte Zeit zurück. Wir haben Sehnsucht nach der Sicherheit unseres bekannten, gewohnten Lebens.
Keine Masken mehr tragen zu müssen, uns wieder näher kommen zu können, Kontakte pflegen, Wir sehnen uns danach.
Und doch gibt es da etwas, was wir erfahren konnten in den letzten Monaten: Menschen stehen füreinander ein. Sie zeigen ihre Solidarität. Nicht in großen Aktionen, sondern besonders im Kleinen. Menschen achten aufeinander, nehmen Rücksicht, tragen der Masken um andere zu schützen, halten die notwendigen Beschränkungen ein. Durchhalten eben!
Im Prozess des Lebens, bei allem Schweren durchhalten und das Leichte, das Gute nicht vergessen. Dafür stehen die kleinen goldenen Blumen auf dem Tuch…
„Euer Herz sei stark und unverzagt, ihr alle, die ihr den Herrn erwartet“
Ps 31, 25
4. Nachdenkerei - 3. Fastensonntag, 07.03.2021
Das Tryptichon Mitte 1. Teil
Festen Grund haben
Der mittlere Teil des Tryptichons wirkt auf den ersten Blick genauso verwirrend wie der linke Teil. Wirre schwarze Linien wirbeln und erinnern an Tinte, die man in ein Glas Wasser rinnen lässt. Wieder sind kleine goldene Blumen zu erkennen.
Die Flecken
Der Untergrund des Bildes sind Bettlaken aus einem Krankenhaus. Die Künstlerin nimmt die Laken mit nach Chile zum Platz der Würde, dorthin, wo die Demonstrationen 2019 stattfanden. Sie reibt die Tücher auf dem Boden. Das Tuch nimm den Staub auf! Es nimmt das Elend und das Leiden auf!
Es nimmt die Hoffnung auf, da wo Menschen sich für Gerechtigkeit einsetzen.
Die Linien
Denkt man an die Anatomie des Fußes, haben wir hier den Mittelfuß vor uns, vielleicht die Ferse. Mit diesem Teil des Fußes stehen wir fest auf dem Boden. Er gibt uns Stabilität. Wir fallen nicht, wir haben Wurzeln, sind verankert im Grund. Verankert in der Welt. Wo dieser Fuß verletzt ist, werden wir schwankend, vielleicht straucheln wir. Wir sind in der Gefahr, unseren festen Grund zu verlieren.
Aber nur dann, wenn wir festen Grund haben, können wir aufbrechen und losgehen. Wurzeln und Flügel. Gott schenkt uns beides. Und er verknüpft beides. So können wir durch seinen Beistand Grund haben und losgehen. Trotz unserer Wunden gehen und den Himmel und den Boden verbinden.
„Der Himmel ist nicht nur über unseren Köpfen.
Er streckt sich bis runter auf die Erde.
Immer wenn wir den Fuß vom Boden heben,
Laufen wir im Himmel“ (Yoko Ono)
3. Nachdenkerei - 2. Fastensonntag, 28.02.2021
Das Triptychon links Teil 2
Losgehen – Aufbrechen
Wenn ich Neues entdecken will, muss ich mich auf den Weg machen, ich muss mich aufraffen. „Tu es einfach, just do it“ scheint mir das Logo eines bekannten Sportartikelherstellers zuzurufen. Aber sich aufzumachen ist nicht immer so einfach. Wie gemütlich haben wir es uns in unserem gewohnten Alltag gemacht! Wie viele Ausreden finden wir, um zu bleiben, nichts verändern zu müssen, um uns nicht einsetzten zu müssen. Dabei sehen wir doch viele Dinge, die es wert sind, verändert zu werden. Im Großen, wenn es um unser Klima, wenn es um die sozialen Folgen der Pandemie oder auch um soziale Ungerechtigkeit geht. Und auch im Kleinen können wir uns immer wieder aufmachen und losgehen. Da wo wir Streit haben, da wo wir ungerecht sind, wo Uneinigkeit herrscht. Machen wir uns auf und werden wir besser.
Wir bleiben aber oft voll Angst in unserem Schneckenhaus, in dem Netz, in das wir uns verstrickt haben. „Herr, sei mir gnädig, denn mir ist angst, vor Gram sind mir Auge, Seele und Leib zerfallen“ Ps 31,10 So mag man rufen. Aus Angst vor dem Neuen. Aber nur dann, wenn wir uns trotz aller Angst aufmachen, werden wir die Möglichkeit haben, etwas zu verändern. Psalm 31 verspricht uns die Begleitung durch Gott. „Du wirst mich befreien aus dem Netz, das sie mir heimlich legten“ Ps 31,9
So können wir uns aufmachen und den ersten Schritt tun. Im Vertrauen auf Gottes Begleitung können wir den ersten Schritt wagen. Den ersten Schritt in eine andere Welt, denn so gibt die Künstlerin an:
„Eine andere Welt ist möglich. Diese Hoffnung möchte ich verbreiten.“
„Gib mir Kraft loszugehen“ (2)
2 (Gebet aus: Gaidetzka/Kolletzki/Skoop, (2020) Misereor Lehrerforum, Nr 118, 4/2020, https://www.misereor.de/informieren/publikationen/produkt-such-ergebnisse/product/lehrerforum-nr-118-misereor-hungertuch-2021-2022-du-stellst-meine-fuesse-auf-weiten-raum, 27.1.2021)
2. Nachdenkerei - 1. Fastensonntag, 21.02.2021
Das Triptychon links 1. Teil
Neues entdecken
Verworrene Linien, verwirbelter Raum, kleine goldene Blumen, Flecken. Die Richtung des Bildes weist nach oben. Beim genaueren Betrachten der Linien, und mit der Metapher des Fußes im Blick, werden Zehenknochen sichtbar. Den Raum erfahren, weitergehen, eine Richtung haben.
Manchmal sind wir auf Entdeckungsreise. Machen uns auf, stehen auf, ziehen feste Schuhe an und gehen los. Wir erobern den weiten Raum, der um uns ist. Neugierig sind wir und fühlen uns groß. Wir haben einen Blick auf die kleinen Kostbarkeiten am Wegrand, die goldenen Blumen, all das Schöne. Und wir übersehen dabei die dunklen Flecken, die Versuchungen, die Gefahren.
Manchmal werden wir auch unverhofft aus Gewohntem gerissen. Etwas kommt über uns und zwingt uns, neue Wege zu beschreiten.
Vielleicht erleben wir das das gerade jetzt. Eine Pandemie. Corona reißt uns aus unserer Komfortzone. Kontakte reduzieren, Hygieneregeln, andere Regeln für Alltag und Gottesdienste, das ist das, was wir momentan erleben.Dieser Raum ist uns unbekannt, fremd, er scheint voller Gefahren und Unsicherheiten zu sein. Wir sind unsicher und fühlen uns klein, verlassen. Da müssen wir neue Wege finden, neue Wege sehen, aufbrechen und den Wandel zulassen. Wir sind gezwungen unser Leben zu entschleunigen, langsamer zu gehen, um voranzukommen. Auf neue, unbekannte Weise! Wir müssen uns umschauen, das Gelände erkunden, etwas wagen.
Wir müssen unser Leben immer wieder neu überdenken, innehalten, immer wieder den Raum ansehen, in den Gott uns stellt. Und wir können seine Zeichen verstehen, wenn wir ihn um Beistand bitten, wenn wir ihm vertrauen. Und wir sind dabei nicht alleine: „um deines Namens willen wirst du mich führen und leiten“ (Ps 31,4). So steht Gott bei uns und begleitet uns.
1. Nachdenkerei - Aschermittwoch, 17.02.2021
Der Fuß
Es ist kein Geheimnis mehr, wer das Tuch gestaltet hat, und welches Ereignis die chilenische Künstlerin Lilian Moreno-Sánchez dazu inspiriert hat. Auch, dass ein Fuß das Zentrum des Bildes darstellt, ein zertrümmerter Fuß. Von Menschen zertrümmert. Gewalt, die Menschen anderen Menschen antun, ist hier dargestellt, im stilisierten Röntgenbild eines wirklichen, zertrümmerten Fußes. Eines Fußes, der einem Menschen gehört, der bei einer Demonstration 2019 in Chile gegen soziale Ungerechtigkeit schwer verwundet wurde.
Dieser Fuß, dieser Mensch, scheint nicht mehr gehen zu können, nie mehr, zumindest nicht auf normale Weise. Und doch gibt die Künstlerin ihrem Hungertuch den Titel: Du stellst meine Füße auf weiten Raum. Die Gegensätzlichkeit könnte nicht größer sein, der verletzte Fuß und der weite Raum.
„Ich bin dem Gedächtnis entschwunden wie ein Toter, bin geworden wie ein zerbrochenes Gefäß“, (Ps 31,13). Diese Klage drückt die Bedrohung des Menschen aus, seine Zerbrochenheit, zertrümmert wie der Fuß, steckengeblieben in seinem Elend.
Aber der Psalm endet mit Vertrauen auf Gott. „Doch du hast mein lautes Flehen erhört, als ich zu dir um Hilfe rief“ (Ps 31,23). Gott zeigt Auswege, öffnet uns den Raum, schenkt uns die „Kraft des Wandels“, wann immer wir uns an ihn wenden, wann immer wir sie sehen wollen.
Gott, du stellst meine Füße auf weiten Raum.
Du begleitest mich auf meinem Weg in die Weite des Raumes. (1)
1 (Gebet aus: Gaidetzka/Kolletzki/Skoop, (2020) Misereor Lehrerforum, Nr 118, 4/2020, https://www.misereor.de/informieren/publikationen/produkt-such-ergebnisse/product/lehrerforum-nr-118-misereor-hungertuch-2021-2022-du-stellst-meine-fuesse-auf-weiten-raum, 27.1.2021)
Verfasserin:
Elisabeth Freund-Eisele, Laatzen